Was ist eigentlich Partizipation?

In vielen fachlichen Diskussionen fällt das Wort der Partizipation. Schnell kann der Eindruck geweckt werden, dass dieser Begriff nicht nur inflationär, sondern auch als eine Art «Containerbegriff» fungiert. Die Wichtigkeit dessen, was es ist bzw. sein soll, scheint unbestritten. Doch was bedeutet Partizipation eigentlich genau?
Partizipation als Leitbild
Grundsätzlich lässt sich Partizipation als ein Leitbild der Sozial- und Inklusionspädagogik sowie der Agogik verstehen. Damit einhergehend muss sich die agogische Begleitung und Unterstützung im EPI WohnWerk unter anderem an diesem Leitbild in der Messung ihrer Qualität orientieren. Dies spiegelt sich auch deutlich im Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung (UN-BRK) wider (United Nations, 2007). Aus dem lateinischen «participium» abgeleitet, bedeutet Partizipation so viel wie «Anteil haben» oder «beteiligt sein». Synonym werden im deutschsprachigen Raum häufig die Begriffe der Teilhabe und Teilnahme verwendet. In der Fachliteratur wird diese Verwendung jedoch kritisch als verkürzt oder unvollständig angesehen, denn «Partizipation steht nämlich nicht nur für aktive Beteiligung in einem sozialen System oder als Teil oder Mitglied einer Gemeinschaft oder Gesellschaft, sondern gleichfalls […] für das Recht auf Mitsprache, konkrete Mitgestaltungsmöglichkeiten sowie Mitbestimmung» (Schwalb & Theunissen, 2009, S. 9). Die Partizipationsmöglichkeiten von Menschen mit Beeinträchtigung müssen auch in Institutionen immer wieder erneut in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt werden, denn Menschen mit Beeinträchtigung sind von einem hohen Risiko betroffen, ausgeschlossen zu werden (Wansing, 2005).
Die verschiedenen Stufen von Partizipation
Um Partizipation für die tägliche Arbeit fassbarer zu machen und damit die eigene Einstellung zu reflektieren, Neues zu denken und auszuprobieren, eignet sich das Stufenmodell in Anlehnung an Strassburger und Rieger (2014). Werden Klientinnen und Klienten informiert, wird ihre Meinung erfragt, d.h. können sie Rückmeldungen geben und ihre Lebensweltexpertise einbringen, dann sind dies sogenannte Vorstufen der Partizipation. Der eigentliche Charakter der Partizipation liegt nun aber darin, dass Mitbestimmung der Klientinnen und Klienten zugelassen wird und zwar bevor eine Entscheidung getroffen wird. Die Klientinnen und Klienten können gleichberechtigt Ideen und Vorschläge einbringen, die als Grundlage für eine Entscheidung dienen, die anschliessend gemeinsam getroffen wird. Ganz wesentlich ist hierbei das Miteinander.
Weitere Stufen der Partizipation bedingen, dass die Entscheidungsmacht und Verantwortung in bestimmten Bereichen teilweise oder ganz an Menschen mit Beeinträchtigung übertragen werden. Das Fachpersonal begleitet und unterstützt hier bedarfsorientiert. Über die Partizipation hinaus geht die Selbstorganisation. Ein Beispiel hierfür bilden Selbstvertretungsgruppen. Menschen mit Beeinträchtigung organisieren sich zu einem Verein oder einer Arbeitsgruppe und setzen ihr Vorhaben – mit oder ohne Einbezug von selbstausgewählten und angestellten Assistenzen – selbstbestimmt um. In allen Lebensbereichen partizipieren zu können, ist das Recht eines jeden Menschen.

Die Klientinnen und Klienten bringen sich bei der Klientensitzung ein
Partizipation umsetzen – ja, aber wie?
Ein Schritt-für-Schritt-Grundrezept könnte vielleicht so aussehen: Die zu erwartenden Chancen und Risiken sorgfältig abschätzen, dann aufrichtig und ernst gemeinte Partizipationsmöglichkeiten entstehen lassen und dabei klar kommunizieren, wie Entscheidungen gefällt werden und wie weit das Recht auf Mitbestimmung reicht. Eine Portion Mut und Offenheit hinzufügen, damit noch unbekannte Felder begangen werden können und zum Schluss einen ausgiebigen positiven Umgang mit Unterschiedlichkeit und Vielfalt kultivieren.
Partizipatives Sitzungsgefäss im Bereich Werkstätten
Im Jahr 2024 wurde im EPI WohnWerk in jeder Abteilung des Bereichs Werkstätten ein Sitzungsgefäss geschaffen, welches den Klientinnen und Klienten Raum für die Erfahrung von verschiedene partizipativen Stufen am Arbeitsplatz ermöglicht. Was sagen unsere Klientinnen und Klienten zu diesem Sitzungsgefäss? Mehr dazu erfahren Sie in unserem News-Beitrag.
Autorin

Vanessa Prieth
Agogikexpertin Bereich Arbeiten
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