Nächtliche Anfälle und Anfallskontrolle

Von Andrea Ratzinger; dieser Text erschien in den EPI News Nr. 11, Dezember 2009

Die Angst vor nächtlichen Anfällen stellt oft eine grosse Sorge für Angehörige von Menschen mit Epilepsie dar. Manche Eltern betroffener (auch erwachsener) Kinder bringen deshalb technische Überwachungsgeräte (z.B. Babyphone, Epi-Care) zum Einsatz oder teilen sich sogar mit ihrem Kind das Schlafzimmer oder Bett. Auch in Heimen stellt sich die Frage, wie mit nächtlichen Anfällen und deren Kontrolle umgegangen werden kann. 


Was haben Schlaf und Epilepsie miteinander zu tun?
Dass Epilepsie und Schlaf etwas miteinander zu tun haben, wissen viele Betroffene und Angehörige aus eigener Erfahrung nur zu genau:


  • Epileptische Anfälle können in einen Nachschlaf übergehen.
  • Bei manchen Epilepsieformen treten Anfälle vor allem nach dem Aufwachen, bei anderen besonders oder ausschliesslich während des Schlafes auf.
  • Ein gestörter Schlaf-Wach-Rhythmus sowie Schlafmangel können bei Menschen mit Epilepsie Anfälle provozieren.
  • Eine medikamentöse Behandlung der Epilepsie kann die Schlafqualität beeinflussen.

Erholsamer Schlaf ist wichtig für die Regeneration von Körper und Geist. Beeinträchtigter Schlaf bleibt auf Dauer nicht ohne Folgen z.B. für Gedächtnisleistungen, Wahrnehmungsfähigkeit, Konzentration, Lernen und die gesamte Hirnentwicklung. Auch wenn die vielfältigen Folgen eines gestörten Schlafes derzeit noch nicht umfassend erforscht sind, kann festgehalten werden, dass Schlafstörungen für die Betroffenen oft massgebliche Beeinträchtigungen der Lebensqualität  bedeuten.
Schlafstörungen können vielfältige Ursachen  haben und sind weit verbreitet. Verglichen mit der Allgemeinbevölkerung leiden Menschen mit Epilepsie (auch wenn sie keine nächtlichen Anfälle haben) Untersuchungen zufolge jedoch häufiger an Schlafstörungen als die Allgemeinbevölkerung. Von ihren Schlafstörungen sind jedoch nicht nur sie betroffen, sondern häufig auch die Menschen in ihrem sozialen Umfeld, z.B. Eltern, die von den nächtlichen Anfällen ihrer Kinder aus dem Schlaf gerissen werden oder wegen ihrer Sorge vor den Anfällen nicht richtig schlafen können. Solche Umstände können die zwischenmenschlichen Beziehungen belasten.


Ist eine nächtliche Überwachung nötig?

Menschen mit Epilepsie bedürfen – ausser unter besonderen Umständen, z.B. wenn die Gefahr gross ist, dass ein epileptischer Status auftritt sowie während der Diagnostik und Medikamentenein- bzw. -umstellung – in der Regel keiner nächtlichen Überwachung ihrer Anfallssituation. Da nächtliche Kontrollen und Pflegehandlungen ihrerseits einen schlafstörenden Effekt haben, sollte man sogar möglichst davon absehen. – Andererseits gibt es manchen Menschen jedoch auch Sicherheit, wenn sie wissen, dass jemand nach ihnen schaut, und in einzelnen Situationen (z.B. hohes individuelles Dekubitusrisiko) sind nächtliche Kontrollen und Interventionen mit diagnostischen, prophylaktischen oder therapeutischen Zielsetzungen durchaus sinnvoll. 


Konsequenzen
Es ist ratsam, dass die Frage nach der Notwendigkeit und der Art und Weise nächtlicher Kontrollen im Einzelfall, also individuell und situationsbezogen geklärt wird. Dabei ist es wichtig abzuwägen, ob und inwiefern nächtliche Kontrollen bzw. Interventionen eher sinnvoll oder zusätzlich belastend sind. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass nächtliche Kontrollen normalerweise störend wirken und deshalb vermieden werden sollten, ausser sie entsprechen dem aktuellen Bedürfnis des Betroffenen.
Verschiedentlich sind von Epilepsie betroffene Menschen – wie auch manche anderen Menschen – auf Inkontinenzmaterial angewiesen. In dem Fall ist es ratsam, durch eine geeignete Produktauswahl und korrekte Anlegetechnik dafür zu sorgen, dass sich ein nächtliches Wechseln des Inkontinenzmaterials erübrigt.
Kommen die Beteiligten im Rahmen eines Zielklärungsprozesses zu dem Entschluss, dass zumindest für eine gewisse Zeitlang nächtliche Kontrollen und Interventionen durchzuführen sind, 

  • ist eine gute Koordination von Diagnostik und Überwachung unerlässlich, um den Betroffenen trotzdem ausreichende Ruhephasen zur Verfügung zu stellen.
  • sind nächtliche Pflegehandlungen so zu gestalten, dass sie möglichst wenig schlafstörend wirken (z.B. kein helles oder gar grelles Licht anmachen, leise sprechen).
  • ist der Zielerarbeitungs- und -klärungsprozess in geeigneten Zeitabständen zu wiederholen und damit neu zu beurteilen, ob die vereinbarten Massnahmen weiterhin erforderlich sind.

Insgesamt gilt es, Rahmenbedingungen zu gestalten, die einem erholsamen Schlaf förderlich sind, z.B.: 

  • Wenn sich zwei (oder mehrere) Personen beim Schlafen ein Zimmer teilen müssen, ist bei der Auswahl der Zimmernachbarn darauf zu achten, dass diese einen ähnlichen Schlaf-Wach-Rhythmus pflegen.
  • Die antiepileptische Therapie zur Kontrolle (Vermeidung) der nächtlichen Anfälle sollte soweit wie möglich optimiert werden.
  • Es wird auf regelmässigen und ausreichenden Schlaf – auch für die Bezugspersonen! – geachtet.
  • Bei Bedarf werden pflegerische Interventionen zur Schlafförderung (z.B. Gesprächsangebot am Abend, Dampfkompressen, Fusswickel, Massagen) durchgeführt.

Für die Auswahl nützlicher Massnahmen ist es wichtig, die betroffenen Menschen zu fragen, was sie als hilfreich erleben, damit sie sich am Morgen ausgeruht fühlen, oder entsprechende Beobachtungen anzustellen, wenn die Betroffenen ihre Bedürfnisse nicht selber in Worte fassen können. Bei Bedarf kann auch eine systematische Schlafanamnese eingesetzt werden. 


Checklisten und weitere Informationsmaterialien zu Epilepsie finden Sie hier.

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Andrea Ratzinger

Leiterin Fachentwicklung & Projekte EPI WohnWerk

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